Geschichtsdetektiv_innen

Geschichtsdetektiv_innen
Pfiffige Kinder, die neugierig auf die Vergangenheit unserer Stadt sind, begeben sich auf Spurensuche nach der Lebensweise früherer Generationen. Von Erzählungen und Geschichten der Volkskundlerin Ulli Fuchs begleitet, versuchen wir uns den Alltag und die Arbeit in der Hauptstadt des ehemaligen Vielvölkerstaates vorzustellen.

In zehn verschiedenen Grätzelrundgängen erkunden wir jeweils eine andere Vorstadt (vor der Stadtmauer/ heute Ringstraße) oder einen anderen Vorort (vor dem Linienwall/ heute Gürtel), mit einem bestimmten Thema. Wir beschäftigen uns nicht mit den Herrschern und deren Sorgen mit der Macht, sondern mit den armen Leuten, ihrer Schlauheit und dem Leben von unseren Urgroßvätern und deren Urgroßmüttern.

Geschichtsdetektiv_innen unterwegs

WIRWIENERWÄSCHEWEIBERWOLLEN

Die erste Station führt uns ins Wiental zu den Mühlen und Wäscherinnen. Wir stellen uns das Leben ohne Hochquellwasserleitung vor, mit Hausbrunnen und Latrinen. Im Bezirksmuseum Mariahilf schauen wir uns nicht nur das Modell vom Arme-Leute-Viertel Ratzenstadel an und suchen alte Handwerke und Berufe – wir probieren auch das Wäschewaschen: ohne Strom und Waschmaschine, mit Sturm- und Hochwassergefahr, mit Asche und Bretteln.

Donnerstag 12. Juli 2018, 17 Uhr
Treffpunkt U4 Pilgramgasse
Teilnahme dank „wien.spielt.mariahilf“ kostenlos
Anmeldung erforderlich: fuchs@kinoki.at


Zweite Station: GeschichtsdetektivInnen im Lichtental

In einem volkskundlichen Grätzelrundgang im biedermeierlichen Lichtental besuchen wir das Geburtshaus des Komponisten Franz Schubert, spazieren ins Revier der Kaiserwäscherinnen und finden heraus, was das Narrendattel ist. Wie sah damals ein Wohnhaus aus und wie kleideten sich die Leute? Was ist eine Pawlatschen, was ein Kappelbub? Und: Wer war die blade Sepherl?

Freitag 31.August 2018, 16 Uhr
Treffpunkt Schubert-Geburtshaus (1090, Nussdorferstr.54)
Teilnahme dank „wien.spielt.alsergrund“ kostenlos
Anmeldung erforderlich: fuchs@kinoki.at


Seit Otto Glöckels ( gest. 1935 im Anhaltelager Wöllersdorf) Schulreform haben die Wiener Kinder der Volksschule „Heimat- und Sachkundeunterricht“, der ihr Verständnis für ihre unmittelbare Wohnumgebung und deren Geschichte verbessern und vertiefen soll. In der Entwicklung des Kindes erweitert sich der Wahrnehmungsradius zunächst vom Hof des Gemeindebaus, zum Supermarkt über den Schulweg, die Wege zu den Großeltern oder in die Flötenstunde. Erst später entdeckt man die Innenstadt, hört vom römischen Militärlager am Limes  und über die wandernden Handwerksgesellen des späten Mittelalters, die am „Stock im Eisen“ eine bessere Zukunft erbaten, über die katholischen Schreckensgeschichten, die in den pestknochenschlichtenden Strafgefangenen der Katakomben von St. Stefan einen ihrer Höhepunkte fanden.

Durch die Zurichtung des Heimatbegriffs der NS-Diktatur, die die Mentalitäten unserer Großelterngeneration heftigst durcheinander schüttelten, einer Gehirnwäsche gleich, widerständige autochtone Wiener Traditionen zu vergessen und zu eliminieren trachtend – wir holen diese Erzählstränge wieder ans Tageslicht: Widerstand gegen die katholische Zentralmacht (vom hingerichteten Wiedertäufer-Bürgermeister bis hin zur Josefinischen Aufklärung), erste bürgerliche Demokratiebestrebungen (Kampf um eine Verfassung), Arbeiter- und Frauenbewegung mit Bildungsvereinen, Gemeindebauten: wir holen uns unsere „Heimat“ zurück.

Auch unsere vertriebenen und ermordeten Nachbarn, die durch die „Nürnberger Rassegesetze“ zu unwürdigen NichtwienerInnen entrechtet wurden, werden wir niemals vergessen.

Wien ist seit jeher nicht nur Zentrum der absolutistischen katholischen Macht, sonder ein Refugium und eine Wohlfühlstadt von „Menschen der anderen Art“: wissbegieriges Kittelvolk und bildungswütige Weibspersonen, Spinner und Träumer, entflohene gscherte Leibeigene, revolutionäre Handwerker, entrechtete ProletarierInnen, ZauberInnen und LebenskünstlerInnen und ZuwandererInnen aus der Donaumonarchie und anderen Teilen dieser, unserer Welt: Wir alle sind Wien.

Mit den Erfahrungen und Überlebenstechniken aus der vorindustriellen Welt wollen wir unser Sein Heute bestärken und vertiefen. „Ein echter Wiener geht nicht unter“ bedeutet nicht nur ein Herr Karl- mäßiges Opportunistentum, sondern auch spezifische mentalitätengeschichtliche Dispositionen, die Wien von anderen Großstädten unterscheiden. Wien als „offene“ Hauptstadt eines Vielvölkerreiches ist von jeher Disiderat und Hoffnung vieler Menschen verschiedenster Herkunft- von den armenischen Kaffeesiedern über die böhmischen DienstbotInnen bis zu homosexuellen Menschen, Menschen aus der Provinz – eine „Freyung“, ein Gelassen Sein, ein Ort für einen würdigen Neubeginn, eine menschenwürdige Großstadt.

Vor dem Hintergrund und in deutlicher Abgrenzung zu einer „Mir san mir“-Haltung Strache´scher Prägung werden Wiener Familien mit dem bisher wenig Erzählten vertraut gemacht: Ohne Holzhammer oder bildungsbürgerliche Elfenbeintürme werden vergessene Alt- Wiener Erzählungen und regionale Spezifika aufgegriffen und modern übersetzt – Empowerment und aktives Sich-Zuhause-Fühlen, das sind die Ziele dieses volkskundlichen Heimatkundeprogramms, das sich den Bestrebungen der Glöckelschen Schulreform des Roten Wien und der „Geschichte von unten“ und „Grabe wo du stehst“ Ansätzen der 80er Jahre verpflichtet fühlt.

Nur wenn man weiß, wo man herkommt, weiß man, wo man steht und hingeht….